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Rede von Andrea Wolf (DFG-VK Frankfurt)bei der Ostermarsch-Auftaktkundgebung in Frankfurt-Niederrad, 10. April 2023
Liebe Mitstreiter*innen, liebe Pazifist*innen,
wie unsere Welt friedlicher werden kann, darüber sollte fortwährend eine offene, demokratische, vielstimmige Debatte stattfinden. Diese sehe ich zurzeit jedoch stark eingeschränkt durch eine öffentliche Unterdrückung und Verunglimpfung von pazifistischen Positionen, deren Ausmaß mich mittlerweile fassungslos macht. Die Strategie ist perfide: Mit stetig und vielfach wiederholten Falschbehauptungen, ja mit Unterstellungen und Verleumdungen des politischen Gegners, soll eine angebliche moralische Überlegenheit derer markiert werden, die meinen, mit immer mehr Waffenlieferungen nähme der Krieg ein gutes Ende. Die Unterstellungen lauten i.d.R.:
Erstens: Pazifist*innen haben kein Mitgefühl mit den ukrainischen Opfern des Krieges. Sie sind gleichgültig oder stehen in Wahrheit auf der Seite Russlands.
Zweitens: Die heutigen Friedensbewegten machen sich mit Rechtsextremen gemein.
Zum ersten Punkt: Wir erinnern uns an die Beleidigungen als „fünfte Kolonne Putins“ (Graf Lambsdorff) oder als „Lumpen-Pazifisten“ (Sascha Lobo). Gefühlt tausendfach wiederholt wurde die Lüge, die Friedensbewegung verurteile den russischen Angriffskrieg nicht, so etwa Sascha Lobo bei Spiegel Online nach dem letztjährigen Ostermarsch. Erst nach massiver Intervention von Gernot Lennert, dessen Rede den Titel getragen hatte „Nein zum russischen Angriffskrieg“, musste Spiegel Online die Behauptung korrigieren und eine Richtigstellung veröffentlichen. Auch in diesem Jahr geht eine Verurteilung des russischen Angriffs deutlich schon aus unserem Aufruf zum Ostermarsch hervor. Wer will, kann das wahrnehmen.
Zur zweiten Unterstellung, die „Querfront“: Ein Beispiel ist hier der Vorwurf, die Friedensbewegung habe am 25. Februar in Berlin gemeinsam mit Rechtsextremen demonstriert. Richtig ist zwar: Unter den Zehntausenden Anwesenden waren auch einige wenige prominente Rechtsextreme. Richtig ist aber auch: Inhaltlich haben wir mit ihnen nichts gemein. Die AfD etwa ist grundsätzlich eine durch und durch militaristische Partei, die die Wiedereinführung der Wehrpflicht will, Rüstungsindustrie und -exporte fördert, das Zwei-Prozent-Ziel der Nato unterstützt und die Bundeswehr im Inneren einsetzen dürfen will. All dies dürften die allermeisten oder alle der hier Anwesenden ablehnen. Die Veranstalterinnen der besagten Friedensdemonstration in Berlin distanzierten sich deshalb aus gutem Grund und deutlich von Rechtsextremen, anders, als immer wieder behauptet worden ist. Über Mikro wurde erklärt, diese seien nicht willkommen. Gruppen von Demonstrierenden versuchten sogar, einzelne Rechte einzukesseln und von der Demo abzuschirmen, wie der Freitag berichtete. Die Polizei wurde von Frau Dağdelen dazu aufgefordert, dies zu tun. Mehr kann man nicht machen! Der beliebte Querfront-Vorwurf wird dennoch gebetsmühlenartig wiederholt. Das Manifest von Frau Wagenknecht, Frau Schwarzer und 69 namhaften Personen aus allen gesellschaftlichen Bereichen haben bisher fast 800000 Menschen mit ihrer Unterschrift unterstützt und das ist gut so. Es bleibt inhaltlich richtig, auch wenn zynischerweise auch Tino Chrupalla es unterschrieben hat. Wir können uns doch von ihm und seinesgleichen unsere gemeinsame Aktion nicht kaputt machen lassen!
Bei beiden genannten Unterstellungen geht es letztlich darum, durch die Diffamierung als moralisch verwerflich, durch soziale Ächtung, die Kritiker der deutschen Regierungspolitik zu diskreditieren. So muss man inhaltlich, auf sachlicher Ebene, erst gar nicht auf ihre Argumente eingehen. Sachlichen Fragen wird regelmäßig ausgewichen. Etwa derjenigen, was denn das konkrete Ziel der Waffenlieferungen sei? Will oder kann man denn die Atommacht Russland mit unseren paar Panzern vollständig niederringen? Wozu das Ganze? Entsteht da nicht ein Abnutzungskrieg mit Hunderttausenden von Toten? Antworten Fehlanzeige. Man scheint sich nicht einmal mehr erklären zu müssen. Der Verweis auf die moralische Unterlegenheit der anderen genügt offenbar. Aber: Ist es nicht eigentlich herzlos, die NATO grundsätzlich rauszuhalten, nicht wirklich zu helfen außer mit ein bisschen Material, aber die Ukrainer*innen für eine Schwächung Russlands töten und sterben zu lassen?
Wenn der dargestellte, unsachliche Stil unter Bekannten am Stammtisch vorkommt, ist dies unschön, aber verzeihlich. Dass jedoch vermeintlich seriöse Zeitungen und Fernsehformate sich so verhalten, ist inakzeptabel. Als Skandal empfinde ich es, wenn im Deutschen Bundestag Abgeordnete, statt Argumente zur Debatte zu liefern, einzelne Kolleginnen beleidigen, diffamieren und demütigen. Ich spreche von Friedrich Merz` Äußerungen über Sarah Wagenknecht. Er bezeichnete sie als „menschenverachtend“ und „niederträchtig“ wegen der sachlich völlig korrekten Aussage im Fernsehen, ich zitiere: „Kriegsverbrechen – und das ist in jedem Krieg so – gibt es auf beiden Seiten.“ Wenn Merz auf seine Beschimpfungen hin tobenden Applaus fast des gesamten Parlaments bekam, deren Angehörige ja um die von der UN-Menschenrechtskommission berichteten Fakten wissen, dann ist dies meiner Meinung nach nichts anderes als Mobbing. Mich schockiert das und ich halte das für eine echte Gefährdung von unserer Demokratie und deren Akzeptanz. Egal, welche Politik Frau Wagenknecht ansonsten betreibt und was man von ihr halten mag, sollten wir an dieser Stelle solidarisch sein. Auch vor dem Hintergrund der 130-jährigen Geschichte der Deutschen Friedensgesellschaft, des politischen Pazifismus, der immer mit solchen Abwertungen und unfairen Angriffen zu tun hatte.
Ich plädiere für eine Debatte, die Differenzierungen zulässt. Dies schließt ein, dass neben der Verurteilung des russischen Angriffs auch diskutiert werden darf, ob es für die ukrainische Seite im Vorfeld nicht Möglichkeiten gegeben hätte, diesen Krieg noch zu verhindern. Verpasste Chancen des Westens, Frieden zu stiften, ebenso? Und es darf kein Sakrileg sein, festzustellen, dass es inzwischen auch durch die Verteidiger verursachtes Leid gibt, und ja, auch Kriegsverbrechen. Das ist deshalb wichtig, weil gesagt werden muss, dass dieser Krieg kein Märchen über den Kampf Gut gegen Böse ist. Weil kein Krieg das ist. Wir sollten uns gegen blinde Vereinnahmung wenden. Und gegen Nationalismus stellen, egal wo er auftaucht. Das muss doch möglich sein, ohne dass einem unterstellt wird, die russische Kriegsschuld zu leugnen!
Kriege erzeugen und hinterlassen traumatisierte und brutalisierte Menschen. Das gilt für die Angreifer wie für die Verteidiger. Es gilt für die, die am Ende die militärisch Überlegenen sein werden wie für die militärisch Unterlegenen. Kriege kann man nicht gewinnen. Auch wenn davon leider Gottes auch die prominenten Grünen inzwischen allesamt überzeugt sind und uns an die Formulierung zu gewöhnen versuchen: Die Ukraine müsse gewinnen.
Niemand kann einen Krieg gewinnen. Mit dieser Überzeugung bin ich aufgewachsen. Die allermeisten Deutschen schienen sie zu teilen. Den Kindern das beizubringen, verstanden viele meiner Lehrer und Lehrerinnen als ihre wichtigste Aufgabe. Dass sich all dies derart schnell geändert hat, macht mich, auch als Mutter und Lehrerin zutiefst betroffen.
Ich fordere unsere deutsche Regierung auf, alles zu tun, damit es in der Ukraine so schnell wie möglich zu einem Waffenstillstand und in der Folge zu Friedensverhandlungen kommt. Wer dies mit mir fordert, unterstützt weder Rechtsextreme, noch entschuldigt er - oder sie - den Angriff Russlands noch verkennt er ukrainisches Leid. Im Gegenteil, er will das Leid aller beenden.
Ich bin die Enkelin eines Wehrmachtssoldaten. Er hat mir als Jugendliche einmal gesagt: Man gewöhnt sich im Krieg daran, andere Menschen zu töten. Ich will nicht, dass sich irgendjemand auf der Welt daran gewöhnt. Meine Solidarität und mein Mitgefühl gelten allen Menschen, die unter Krieg und Zerstörung leiden. Allen Müttern, deren Söhne zum Töten gezwungen werden oder die getötet wurden.
Bei der Kundgebung wird eine gekürzte Fassung der Rede vorgetragen.