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Frankfurt (Mo., 21.4. 12:20 Uhr, Affentorplatz)
Frieden ist bekanntlich die Zeit, in der die Herrschenden den Krieg vorbereiten. Sie brauchen dazu Waffen und Leute. Wenn das Geld dafür bereit steht, können Waffen relativ leicht beschafft werden. Was man in Deutschland und der EU nicht selbst herstellt, kann über die Türkei, Israel und den USA bezogen werden.
Im Krieg unterscheiden sich Angreifer und Verteidiger in ihren Methoden nicht wesentlich. Wie wir im Ukrainekrieg sehen, wird das Völkerrecht und es werden insbesondere auch die Menschenrechte missachtet. Menschenrechtsorganisationen werden drangsaliert, Friedensaktivist*innen landen in Gefängnissen. Parteien werden verboten, Wahlen finden nicht mehr statt, die Presse wird gleichgeschaltet. Arbeitsrechte werden eingeschränkt, Streiks verboten. Dasselbe geschieht auch mit Kirchen, wenn sie den Krieg nicht unterstützen.
Trotz jeweils enormer Propagandaanstrengungen wird es zunehmend schwieriger das benötigte Menschenmaterial zu besorgen. Es finden sich auf beiden Seiten schon lange nicht mehr genug Willige.
Bei der Rekrutierung lernt man voneinander: Es gibt Ausreisesperren, Grenzen werden geschlossen. Auf gesundheitliche Einschränkungen wird keine Rücksicht mehr genommen. Man nimmt alle, die man zu fassen kriegt, rekrutiert auch in den Gefängnissen. Überall finden Razzien statt. Soldaten, deren Verträge enden, werden nicht entlassen.
Besonders schlimm ist es für die Kriegsdienstverweigerer. Das Menschenrecht wird ausgesetzt. Wer trotzdem einen Antrag stellt, wird festgenommen, wird geschlagen, bekommt kein Essen, um schließlich rekrutiert oder zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt zu werden. Es flieht, wer kann, sprich, wer Beziehungen und Geld hat. Überall gibt es Korruption. Manche schaffen es, die Not der Leute auszunutzen, und werden reich dabei.
Eine Million Opfer hat der Ukraine-Krieg bereits gekostet: Tote, Verletzte, Traumatisierte, Zerstörungen allerorten. Wenn sich keine Willigen für den Krieg mehr finden, muss er beendet werden.
Die Bundesregierung hat sich frühzeitig entschieden, nichts zur Beendigung des Krieges beizutragen. Politische, diplomatische Mittel lehnt sie noch immer ab und befeuert ihn stattdessen mit Waffenlieferungen.
Nach Deutschland geflohene Ukrainer sind nicht sicher. So sieht z.B. der hessische Innenminister Roman Poseck seine Aufgabe darin, „die Verteidigungsanstrengungen der Ukraine zu unterstützen“. Und der Bundesgerichtshof entschied im Januar sogar, dass ein Land im Verteidigungsfall das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung aussetzen darf. Er ermöglicht damit die Abschiebung von Ukrainern. Daraus folgt, dass auch in Deutschland im Kriegsfalle an die Aussetzung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung gedacht wird.
Bei geflohenen Russen sieht die Situation nicht so viel anders aus. Die wenigen, die hier ankommen, will man schnellstmöglich wieder loswerden. Wem es gelingt, ins Asylverfahren zu kommen, muss mit Ablehnung rechnen. Nach unseren Schätzungen haben kaum ein Dutzend russische Deserteure in Deutschland Asyl bekommen. Kriegsdienstverweigerer und Militärdienstentzieher bekommen in Deutschland sowieso keinen Schutz. Wenn mal ein Gericht anders entscheidet, legt das Nürnberger Bundesamt Widerspruch ein. Es gibt immer mehr Abschiebungen, auch nach Russland.
Ich will auch noch auf die Situation hier in Deutschland eingehen. Bundeskanzler Scholz hat die Zeitenwende ausgerufen und jetzt gibt es für die Aufrüstung keine Grenze mehr. Das freut Verteidigungsminister Pistorius, der Deutschland „kriegstüchtig“ machen will. Letztes Jahr war er in Alaska, Hawaii, im Indo-Pazifik und hat Bundeswehr-Einheiten besucht, die dort gerade beim Manöver waren. Was hat man aus Afghanistan und Mali gelernt? Nichts! Weltweite Einsätze sind nach wie vor angesagt. Dazu kommt die Behauptung, dass Russland 2029 die NATO angreifen könnte – und stationiert schon mal Truppen in Litauen. Es ist eine Hysterie wie im Kalten Krieg, da behauptete man auch, dass die Russen in drei Tagen am Rhein sein könnten. Tatsächlich hat aber keine Seite je einen Angriff geplant.
Die Leute wissen sehr wohl, wohin der Hase läuft. Trotz immer größerer Werbeanstrengungen, melden sich einfach nicht genügend Freiwillige. Nach Umfragen sind nicht mal 20 Prozent der Jugendlichen zum Dienst in der Bundeswehr bereit. Die Anzahl der Soldat*innen nahm im letzten Jahr sogar ab.
Seid ihr nicht willig, dann gebrauchen wir Gewalt, heißt es frei nach Goethe. Darum hat man jetzt eine neue Militärdienstpflicht beschlossen, die „zunächst auf Freiwilligkeit basiert“. Alle 17-jährigen, Männer wie Frauen, werden angeschrieben und man hofft darüber erstmals 5.000 rekrutieren zu können. Aber dabei wird es nicht bleiben: Für die nächsten Jahre sind erheblich mehr vorgesehen. Die neue NATO-Vorgabe steht an: 460.000. Der Reservistenverband hat gerade vorgerechnet: Wenn es zum Krieg mit Russland kommt, könnten jeden Tag 5.000 fallen, dann benötigt man Nachschub – und so fordert er eine Mio. Reservist*innen.
Ein Jahrgang besteht aus 700.000 bis 800.000 Männern und Frauen. Sie alle zur Bundeswehr einzuberufen ist im Moment noch nicht machbar. Noch fehlt es an Rekrutierungszentren, Kasernen, Übungsplätzen, Ausbildern, Waffen, Uniformen…
Wenn das Geld für die Rüstung ausgegeben wird, fehlt es an anderer Stelle. Der Sozialstaat erodiert. Überall wird an der Sparschraube gedreht. Da passt es, dass Bundespräsident Steinmeier und viele andere - und leider auch manche aus der Friedensbewegung - ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr für alle fordern. Noch ist es nicht so weit, aber wenn man sich den Koalitionsvertrag ansieht, kommt man nicht darum herum, zu sehen, dass man es schon vorbereitet. Der Dienst soll den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken und es soll eine „freie Wahl“ zwischen dem Dienst in der Bundeswehr, dem Zivil- und Katastrophenschutz und den aus dem Zivildienst bekannten Einsatzbereichen geben.
Wenn man Leute aus der Ausbildung, der Arbeitsstelle herausreißt, werden die Lücken größer – und die sollen dann mit lohndrückenden Arbeitsdienstleistenden wieder gestopft werden. Da damit ja auch die Lohnsteuereinnahmen wegbrechen, wird das für den Staat bestimmt nicht billig.
Warum reicht es nicht, wenn jemand die Schule absolviert, studiert, wenn jemand eine Lehre macht, arbeitet und Steuern bezahlt? Ist es Freiheit, ist es Demokratieförderung, wenn man jemand zu einer Arbeit zwingt, die er/sie gar nicht machen will? Was soll der persönliche Nutzen entrechteter Arbeit sein?
Der Dienst soll „anständig honoriert“ werden. Warum nur Honorar? Kann man ein gutes Leben damit führen? Tarifliche Bezahlung ist in keinem Modell vorgesehen, ebensowenig ein Streik- oder ein Kündigungsrecht! Und was passiert mit jenen - sie sind bestimmt nicht wenige - die das einfach nicht mitmachen wollen? Was passiert, wenn sie die dann fälligen Geldbußen nicht bezahlen? Werden für sie schon Gefängniszellen bereitgehalten?
Schon mal war in Deutschland Dienst für den Staat angesagt. Da wurde der Westwall und die Autobahnen gebaut, Moore entwässert… Manche der ganz Alten schwärmen noch immer davon: „Schön war die Zeit“, man war in der Natur, hat Lieder gesungen, Kameradschaft… Leider, sagen sie, endete das dann in einem Kriegshilfsdienst. Ohne ihn wäre der Zweite Weltkrieg nicht möglich gewesen. Aber es ist doch zu hoffen, dass wenigstens daraus etwas gelernt worden ist. Zumindest im Grundgesetz ist die Lehre daraus gezogen worden: Zwangsarbeit ist verboten. Hoffentlich bleibt es dabei!
Seid solidarisch mit allen Verweigerern. Unterstützt die Forderung nach offenen Grenzen und Asyl! Keine Abschiebungen in den Krieg!
Leistet Widerstand gegen Aufrüstung, Militärdienstpflicht und Zwangsarbeit!
Pistorius wird vermutlich auch der neue Verteidigungsminister werden. Er hat bereits bekannt gegeben, eine seiner ersten Amtshandlungen wird die Erfassung der neuen Militärdienstpflichtigen sein. Deshalb - An alle Jugendlichen: Verweigert die Datenweitergabe bei den Einwohnermeldeämtern! Noch habt ihr das Recht dazu.
Und an alle Soldat*innen und Reservist*innen: Wenn ihr für die Kriegsplanungen nicht mehr zur Verfügung stehen wollt: Verweigert den Kriegsdienst! Wartet nicht, bis es zu spät ist!