Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen Landesverband Hessen

Sicherheit neu denken

Rede von Thomas Carl Schwoerer, Bundessprecher der DFG-VK,

bei der Kundgebung des Bündnisses Friedlicher Hessentag, Pfungstadt, 10. Juni 2023


Liebe Freundinnen und Freunde,

ich bin Thomas Carl Schwoerer, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen und im Koordinierungskreis von Sicherheit neu denken. Für dieses Netzwerk rede ich heute, das von über 100 kirchlichen und weltlichen Organisationen getragen wird. Sicherheit neu denken schildert konkrete Schritte auf dem Weg zu einer zivilen Sicherheitspolitik auf.

Das ist bitter nötig. Denn die militärisch gestützte Sicherheitspolitik von Nato, Russland und China ist gescheitert. Kriege sind Ausdruck dieses Scheiterns. Ich füge hinzu, dass wir den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine selbstverständlich verurteilen.

In diesem Krieg erhöht sich laut Jürgen Habermas mit jedem Tag ohne Verhandlungen die Gefahr eines Kapitulationsfriedens der Ukraine, oder - um diesen abzuwenden - einer noch stärkeren, direkten Kriegsbeteiligung der Nato. Es ist zu befürchten, dass diese sich zu einem dritten Weltkrieg ausweiten könnte, der wahrscheinlich ein atomarer wäre.

Weder Russland noch die Ukraine haben eine realistische Chance, diesen Krieg zu gewinnen, in dem es nur Verlierer geben kann.

Wir brauchen massive internationale diplomatische Kraftanstrengungen zu einem Waffenstillstand und anschließenden Verhandlungen. Nur so findet das Elend der Menschen in der Ukraine ein Ende.

Wichtig sind außerdem nicht-militärische Beiträge zur Schwächung der zermalmenden Gewalt dieses Krieges, um wieder mit Habermas zu sprechen.  Das sind humanitäre Visa und Asyl für alle Kriegsdienstverweigerer, Militärdienstentzieher und Deserteure aus den beteiligten Ländern, die Franz Nadler von Connection zu Recht fordert, sowie ziviler Widerstand. Dazu zählt die Plakataktion der Mitarbeiterin des russischen Staatsfernsehens am 14. März. Dazu zählen auch die 235 gewaltfreien Aktionen in der Ukraine zwischen dem 24. Februar und dem 30. Juni letzten Jahres. Ukrainer:innen in den besetzten Gebieten haben russische Flaggen abgehängt, Kundgebungen durchgeführt und Verkehrsschilder manipuliert. Lehrer:innen, Schulleiter, Bürgermeister, andere Beamt:innen sowie Mitarbeiter:innen in Fernsehen und Rundfunk haben sich geweigert, mit den Besatzern zusammenzuarbeiten. Medizinisches Personal, Arbeiter und Unternehmer haben Steuerzahlungen oder öffentliche Arbeiten abgelehnt.

Das ist eine bemerkenswerte Bilanz. Sie zeigt, welches um so größere Potential in der Ukraine für einen zivilen Widerstand gegeben war, wenn man ihn von Anfang an vorbereitet und darauf gesetzt hätte.
Sicherheit neu denken setzt sich dafür ein, das Militärische und die Militärlogik zurückzudrängen. Immer wieder heißt es, militärische Gewalt sei das alternativlos letzte Mittel. Das finde ich fatal, weil dadurch viel weniger energisch im Vorfeld nichtkriegerische, zivile Mittel zur Überwindung der Gewalt genutzt werden. Es wird darum gehen, zivile Konfliktlösung zu trainieren sowie endlich Geld, Kraft und Zeit in deeskalierende und vorbeugende Bearbeitung von Konflikten zu investieren.

Gewaltfreie Konfliktbewältigung ist kein Kinderspiel, Prävention und Mediation müssen gelernt werden. Friedensdienste müssen auch finanziert und personell ausgestattet werden!

Liebe Freund:innen, Sicherheit ist ein menschliches Grundbedürfnis. Mit diesem Begriff kommt Sicherheit neu denken ins Gespräch mit allen, die sich mit Sicherheit beschäftigen: mit Militär, Grenzschutz, Polizei, Katastrophenschutz, Feuerwehr, Deutsches Rotes Kreuz und das Technische Hilfswerk. Also mit Gruppen und Menschen, bei denen Stabilität sehr weit oben auf der Werteskala steht. In diesem Dialog pochen wir darauf, dass Beziehung eine viel bessere Sicherheit ermöglicht als Abschreckung.
 
Dazu passt der Traum, dass alle Sicherheitskräfte auf einem Friedlichen Hessentag ausstellen. Aber gemäß dem Beschluss der hessischen Ver.di-Landeskonferenz vom 11. März nicht als Waffenschau von militärischen Großgeräten. Der Hessentag ist laut Ver.di kein Abenteuerspielplatz, auf dem Kinder und Jugendliche unreflektiert mit militärischem Gerät spielen sollten. Und der Soldat:innenberuf ist kein Beruf wie jeder andere.

Vielen Dank für eure Langmut.

Letztes Update: 12.06.2023, 09:08 Uhr