Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen Landesverband Hessen

Rede
von Margot Käßmann, ehemalige EKD-Vorsitzende; DFG-VK

bei den Kundgebungen

Stoppt das Töten in der Ukraine – für Waffenstillstand und Verhandlungen!

am 23. Februar in Berlin und am 24. Febraur 2024 in Frankfurt

 

Fassungslos erleben wir seit zwei Jahren eine schleichende Militarisierung der Gesellschaft. Das ist zum einen die Sprache. „Helden“, „Blutzoll“, „Tapferkeit“ – all das gehört neuerdings zum Sprachgebrauch der Medien. Die Außenministerin erklärt, wir dürfen nicht „kriegsmüde“ werden. Der Verteidigungsminister meint gar, wir müssten „kriegstüchtig“ sein.

Zur schleichenden Militarisierung gehört auch die neue Rolle der Bundeswehr. Obwohl im Koalitionsvertrag von 2021 steht „Ausbildung und der Dienst an der Waffe bleiben volljährigen Soldaten vorbehalten“ erhöht sich die Zahl rekrutierter Minderjähriger stetig. Bundesminister Pistorius wirbt für „Schnupperpraktika“ und fordert ungehinderten Zugang für Jungoffiziere an Schulen, um den Dienst in der Bundeswehr Jugendlichen schmackhaft zu machen. Dazu passt der Antrag der CDU im Bundestag, für die bessere Sichtbarkeit von Soldaten in der Öffentlichkeit einen nationalen Veteranentag „für Respekt, Anerkennung und Würdigung unserer Soldatinnen und Soldaten“ ins Leben zu rufen. Ich frage mich, wo Respekt und Anerkennung für Lehrerinnen und Lehrer, Pflegekräfte, Polizeibedienstete, Ehrenamtliche ihre Würdigung finden…
 
Und drittens gehört zur Militarisierung eine beispiellose Aufrüstung, an der vor allem die Rüstungsindustrie verdient, deren Aktien Rekordhöhen erreichen. Der Bundeskanzler selbst war in diesem Monat eigens zum Spatenstich für eine neue Rüstungsfabrik in Unterlüß zugegen. Die weltweiten Rüstungsausgaben liegen mit 2,2 Billionen US-Dollar auf einem absoluten Rekordhoch.

Und: Mit „Steadfast Defender“ findet in diesem Jahr das größte Nato-Manöver seit dem Ende des kalten Krieges statt. 90.000 Soldatinnen und Soldaten aus 32 Ländern werden teilnehmen. Das erklärte Ziel ist Abschreckung.

Als sei das alles nicht genug wird auch noch von Finanzminister Lindner und anderen eine Debatte über eine EU-Atombombe gefordert (SZ 14.2.24). Auch der ehemalige Außenminister Joschka Fischer fordert Atomwaffen für die EU und sagt „wir müssen unsere Abschreckungsfähigkeit wiederherstellen“. (Zeit online 3.12.23).

Zu all dem rufen wir als Friedensbewegung unser Nein!

Nein, wir wollen nicht kriegstüchtig werden, sondern friedenstüchtig!

Nein, wir wollen keine weiter Aufrüstung, sondern endlich, endlich Abrüstung!

Atomwaffen dürfen nicht neu legitimiert werden. Sie gehören verbannt!
 
Wir brauchen keine Abschreckung. Dringend notwendig sind stattdessen Konzepte für friedliches Zusammenleben auf unserem Planeten.

Es ist fatal, dass mit Blick auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine immer nur Waffenlieferungen, Waffensysteme, Militärstrategien diskutiert werden. Das wird als Hilfsleistung von vielen Milliarden Euro bezeichnet. Aber die Folge sind noch mehr Tote. Stattdessen brauchen wir Friedensstrategien, diplomatische Initiativen, Hoffnungszeichen, Milliardeninvestitionen in Frieden. Es braucht Friedenslogik statt Kriegslogik. Nur wenn wir friedenstüchtig werden, hat diese Welt Hoffnung auf Zukunft.

Zudem: Kriegsdienstverweigerung ist ein Menschenrecht. 300.000 junge Männer haben Russland verlassen. Sie werden zum Teil als Feiglinge diffamiert. Sie sollten als politisch Verfolgte bei uns Asyl erhalten. Männer in der Ukraine zwischen 18 und 60 Jahren dürfen das Land nicht verlassen. Fast eine Millionen von ihnen haben Zuflucht in Westeuropa gesucht. Das allein widerspricht der stetigen Behauptung, alle Ukrainer wollten unbedingt zum Kämpfen an die Front. Zu den vielbeschworenen europäischen Werten gehört: Kriegsdienstverweigerung ist ein Menschenrecht.

Und nicht zuletzt wird die Friedensbewegung diskreditiert. Von „selbsternannten Friedensfreunden“ ist die Rede. Wer Friedensverhandlungen fordert, wird sofort als Putinversteher diffamiert. Volker Beck twittert, ich sei ethisch mit meinem „Teestubenpazifismus“ immer auf der falschen Seite (was impliziert, dass er auf der richtigen ist). Sascha Lobo nennt uns „Lumpenpazifisten“, Roderich Kiesewetter „wohlstandsverwöhnt“. Das weisen wir von uns. Auch all die begeisterten Befürworter von Waffenlieferungen werden selbst nicht in den Krieg ziehen, sondern bleiben bequem und wohlstandsverwöhnt auf ihren Sofas!

Gleichzeitig mit den Milliarden, die für Rüstung ausgegeben werden, wird gekürzt:  An Freiwilligendiensten. An Entwicklungshilfe. An Flüchtlingsprogrammen. Das kann nicht unwidersprochen bleiben. Warum bleibt es so still angesichts dieser Entwicklung? Friedrich Siegmund Schultze hat 1946 formuliert: „..die Menschheit läßt sich wie stets in die Verantwortungslosigkeit hineinschläfern…“ Ein guter Ansatzpunkt für Friedensethik: sich nicht in Verantwortungslosigkeit „hineinschläfern“ lassen!

Wir werden wach bleiben als Deutsche Friedensgesellschaft.

Es gibt im Krieg keine guten und schlechten Waffen. Außenministerin Baerbock erklärt, „unsere Waffen schützen Leben“. Das mag sein. Aber sie töten eben auch! Es gibt inzwischen hunderttausende Tote in der Ukraine. Der Stellungskrieg erinnert an Verdun. Wann ist Schluss mit diesem Wahnsinn? Bei einer Millionen? Wann ist eine angemessene Verhandlungsposition erreicht? Wir sagen: JETZT! SOFORT!

Ständig ist das Gegenargument: Putin will doch nicht verhandeln. Klar, er ist ein Kriegsverbrecher. Aber sollen Verhandlungen nur durch noch mehr Tote möglich werden? Verhandlungsbereitschaft, so Heribert Prantl, kann auch herbeiverhandelt werden. Waffenstillstand heißt nicht Kapitulation, sondern schafft die Möglichkeit zu sondieren, wie verhandelt werden kann. Wo sind denn neben all den Militärstrategen, die kundigen Diplomatiestrategen? Wo bleibt die große internationale Friedensinitiative?

Wir wollen nicht, dass die Eskalationsspirale weitergetrieben wird, noch mehr Waffen in das Kriegsgebiet geliefert werden. Denn mit diesen Waffenlieferungen werden wir mitverantwortlich für all die Toten.

Ich stehe hier auch als evangelische Christin.
Jahrhundertelang wurden Waffen durch Kirchenvertreter gesegnet. Und auch heute sehen wir wieder Bilder davon. Patriarch Kyrill rechtfertigt den russischen Angriff auf die Ukraine als sei Russland angegriffen durch westliche Werte wie Freiheit, Gleichberechtigung, Anerkennung homosexueller Lebenspartnerschaften. Das ist für mich Gotteslästerung.

Die Kirchen der Welt sind immer in die Irre gegangen, wenn sie Gewalt legitimiert haben. Denn im Evangelium findet sich dafür keinerlei Grundlage. Jesus hat gesagt „Steck das Schwert an seinen Ort“ und noch mehr: „Liebet Eure Feinde“. Der Friedensnobelpreisträger Martin Luther King hat erklärt, das sei das Schwerste, was Jesus uns hinterlassen hat. Das stimmt. Aber es ist zuallererst eine bleibende Mahnung, sich nicht in Feindbilder hineintreiben zu lassen.

„Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein“, haben die Kirchen der Welt 1948 gemeinsam proklamiert. Darum geht es. Mir ist bewusst, dass wir schuldig werden können, wenn wir gegen Waffenlieferungen plädieren, die Menschen in der Ukraine zu ihrer Verteidigung anfordern. Es gehört zur Demut eines Menschen einzugestehen, dass das der Fall ist. Aber schuldig kann auch werden, wer für Waffen plädiert. Denn Waffen töten. Dafür werden sie produziert. Ich wünsche mir, dass die Kirchen der Welt sich energisch für ein sofortiges Schweigen der Waffen einsetzen.

Ich stehe hier auch als Großmutter von sieben Enkelkindern.
Wenn ich an diese Kinder denke, an all die Kinder in der Ukraine, in Russland, in Syrien, im Jemen, im Sudan dann sind 100 Milliarden Euro für Rüstung zusätzlich zum Bundeswehretat von schon mehr als 50 Milliarden Euro allein in unserem Land doch keine Investition in ihre Zukunft. Was sie brauchen, ist eine Investition zur Verhinderung der Klimakatastrophe. Ihre Zukunft wird lebenswert durch Milliarden Euro, die in Bildung und Entwicklung investiert werden. Unsere Erde ist bedroht durch die rücksichtslose Ausbeutung aller Ressourcen. Und Krieg ist eine der schlimmsten Zerstörungskräfte.

Wer Waffenlieferungen ablehnt, wird gnadenlos diffamiert, als naiv, dumm und ahnungslos hingestellt. Das ist für einen demokratischem Diskurs unwürdig. In Verantwortung auch mit Blick auf die deutsche Geschichte und mit Blick auf die Zukunft unseres Landes, halte ich es als Deutsche für richtig, keine Waffen in ein Kriegsgebiet zu liefern. Bis Februar 2022 war das übrigens Konsens…

Wer sich gegen Waffenlieferungen äußert wird in letzter Zeit auch mit dem äußerst rechten politischen Spektrum in Verbindung gebracht. Dagegen verwahren wir uns! Wir lassen uns nicht instrumentalisieren. Deshalb haben wir gesagt: “Für Menschen und Gruppen aus dem nationalistischen und antidemokratischen Spektrum ist auf unseren Aktionen kein Platz.” Wir treten ein für eine Überwindung von Nationalismus und Rassismus, die Menschlichkeit und Gemeinschaft möglich macht. Wer Unfrieden gegen andere Menschen sät oder von Zwangsdeportationen faselt, kann nicht für Frieden eintreten.

Nein, wir lassen uns nicht in Verantwortungslosigkeit hineinschläfern. Wir bleiben hellwach und treten der Militarisierung entschlossen entgegen. Unsere tiefe Überzeugung bleibt: Nur Abrüstung und Frieden werden die Zukunft der Menschheit sichern.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

 

Letztes Update: 26.02.2024, 03:35 Uhr