Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen Landesverband Hessen

Gemeinsame Rede

  • von Andrii Konovalov, Kriegsdienstentzieher aus der Ukraine, Student an der Universität Köln ,

und

  • Jewgenij Arefiev, Kriegsdienstentzieher aus Russland, Sprecher der DFG-VK Münster,

gehalten bei der Kundgebung zum Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung am 15. Mai 2024 in Frankfurt am Main

 

Rede von Andrii Konovalov, Kriegsdienstentzieher aus der Ukraine, Student an der Universität Köln,

gehalten bei der Kundgebung zum Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung am 15. Mai 2024 in Frankfurt am Main

Ich möchte mich bei allen Anwesenden für ihre Zeit und die Möglichkeit bedanken, auf die Probleme aufmerksam zu machen, die viele Länder, darunter auch mein Heimatland, in diesem Moment plagen.

Als ich in der Ukraine aufwuchs, erschienen mir viele Dinge selbstverständlich und unbestritten. Mir wurde beigebracht, dass jeder Mensch den gleichen Respekt und die gleichen Rechte verdient, dass es falsch ist, Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Religion oder ihrer Gebrauchssprache zu unterteilen, und dass man solche Versuche tadeln sollte. Mir wurde auch beigebracht, dass die Schwachen und Wehrlosen geschützt werden sollten und nicht umgekehrt.

Leider wurde mein Aufwachsen von einer Relativierung all dieser grundlegenden Wahrheiten begleitet.

Ich habe gesehen, wie ukrainische Oligarchen, die ihr Eigentum vor russischen Oligarchen schützen wollen, zu diesem Zweck die nationalistischen Flammen innerhalb der ukrainischen Gesellschaft geschürt haben, um sozialen Unmut und Proteste für ihre primitiven und egoistischen Ziele umzulenken.

Ich habe miterlebt, wie Politiker in ihrem Streben nach höherem Rating und Finanzmitteln die Gesellschaft in Gruppen aufspalteten, diese gegen einander ausspielten und deren Interessen dreist über die Interessen der Allgemeinheit stellten. Ich habe miterlebt, wie den Gruppen jeder Grund geboten wurde, sich als ungerecht behandelt zu fühlen und wie Ungerechtigkeit, Gewalt gegen die Anderen als der einzig mögliche und daher notwendige Weg dargestellt wird, um „persönliche“ Gerechtigkeit zu erreichen.

Die Bevölkerung hat diese Politik jedoch voll verstanden und bei jeder Wahl abgelehnt. Sowohl Selenskyj als auch der vorherige Präsident kamen mit dem Versprechen von Kompromissen und Verhandlungen an die Macht. Sobald sie an der Macht waren, verkehrte sich ihre Rhetorik ins Gegenteil, ihre Kompromissbereitschaft wurde zu „roten Linien“, und statt des versprochenen Dienstes am Volk wurde es ein Dienst an der Oligarchie.

Die Künstlerin Käthe Kollwitz, die in ihren Bildern festgehalten hat, wie die Menschen unter Krieg und Armut leben mussten, hat am 11. Oktober 1916 in ihrem Tagebuch festgehalten:

„Peter, Erich, Richard, alle stellten ihr Leben unter die Idee der Vaterlandsliebe. Dasselbe taten die englischen, die russischen und die französischen Jünglinge. Die Folge war das Rasen gegen einander, die Verarmung Europas am Allerschönsten. Ist also die Jugend in all diesen Ländern betrogen worden? Hat man ihre Fähigkeit zur Hingabe benutzt, um den Krieg zustande zu bringen? Wo sind die Schuldigen? Gibt es die? Sind alle Betrogene? Ist es ein Massenwahnsinn? Und wann und wie wird das Aufwachen sein?“

Die Menschen in der Ukraine und in Russland, aber auch die Menschen hier werden betrogen, wenn von der Möglichkeit militärischer Siege gesprochen wird. Überall verlieren Menschen im Krieg. Wir brauchen also Friedensverhandlungen. Und ich wünsche mir, dass wir aus den Verbrechen heutiger Kriege die universalistische Konsequenz für alle Menschen und Völker ziehen: Niemand darf diskriminiert werden.

Ungerechtigkeiten können keine weiteren Ungerechtigkeiten rechtfertigen. Das Verletzen von Rechten darf nicht als Rechtfertigung für weitere Rechtsverletzungen dienen. Ebenso darf Gewalt nicht als Vorwand für weitere Gewalt genutzt werden.

Der illegale Einmarsch Russlands in die Ukraine sollte es der ukrainischen Regierung nicht ermöglichen, die Rechte ihrer Bürger zu verletzen. Der Krieg sollte nicht als Vorwand dienen, um die Gesellschaft weiter zu spalten, indem die persönliche Sicherheit und Reisefreiheit auf einen begrenzten Kreis von politischen und wirtschaftlichen Eliten beschränkt werden. Die Verletzung der Grenzen sollte den ukrainischen Behörden nicht das Recht geben, die russische Sprache in Schulen, Buchläden und im öffentlichen Raum zu verbieten, die Verfolgung politisch unerwünschter Kirchengemeinden und die Beschlagnahmung von Kirchengebäuden zu erlauben.

Und schließlich sollten Rechtsverletzungen den Menschen nicht die Freizügigkeit nehmen und Millionen von Familien dazu zwingen, zwischen Sicherheit und Familienzusammenhalt zu wählen. Wenn der Staat Kindern und Müttern die Möglichkeit gibt, sich im Ausland in Sicherheit zu bringen, sollte er dafür sorgen, dass die Väter ihnen folgen können und nicht unter Androhung von Gewalt und Folter zur Teilnahme am Krieg gezwungen werden.

Den Menschen eines bestimmten Geschlechts, Alters und einer bestimmten Nationalität die Möglichkeit zu verwehren, ein vom Krieg zerrissenes Land zu verlassen ist unmoralisch, einfach unmoralisch. Solche Beschränkungen nehmen Tausenden von Menschen ihre Arbeits-, Studien- und Entwicklungsmöglichkeiten und berauben damit mein Land der Zukunft.

Die Verweigerung von Asyl für Menschen, die Gefahr laufen, in einen Krieg hineingezogen zu werden, ist ebenfalls unmoralisch. Solche Entscheidungen zwingen Menschen dazu, sich zwischen der Flucht und der Rückkehr in die Heimat zu entscheiden und damit zumindest ihre Gesundheit und ihre persönliche Zukunft zu riskieren. Das jüngst vom ukrainischen Parlament verabschiedete Gesetz verstößt gegen die Rechte und stürzt Hunderttausende ukrainischer Männer im Ausland in Unsicherheit. Die bestenfalls indifferente Reaktion der europäischen Regierungen auf diese Menschenrechtsverletzungen ist zu kritisieren. Wir müssen die deutsche Politik auffordern, sich mit aller Kraft und mit allem Druck dafür einzusetzen, dass alle Bürgerinnen und Bürger kriegführender Staaten den Kriegsdienst verweigern und den Krieg vermeiden können.

Wir sollten deutlich machen, dass die Bedrohung für unsere Zukunft heute nicht von einer bestimmten Nationalität, Kultur oder Religion ausgeht. Die Bedrohung für unsere Zukunft liegt allein in der ungeheuerlichen sozialen Ungleichheit, der Politik der Spaltung und der selektiven Durchsetzung von Rechtsansprüchen. Die einzige Möglichkeit, diese Bedrohung zu bekämpfen, besteht darin, die Politik der Spaltung abzulehnen, die andere Seite nicht als Feind zu brandmarken und die Rückkehr zum Dialog zu fordern. Zu einem Dialog, der es ermöglicht, den Vormarsch der extremen politischen Kräfte in Russland und in der Ukraine aber auch in Israel, in Europa und in den USA zu stoppen. Die Demokratie ist wirklich weltweit bedroht, und nur eine weltweite Ablehnung konfrontativer Politik kann den Radikalen den Wind aus den Segeln nehmen, die Demokratien sichern und etwas gerechtere Welt schaffen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

Rede von Jewgenij Arefiev, Kriegsdienstentzieher aus Russland, Sprecher der DFG-VK Münster,

gehalten bei der Kundgebung zum Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung am 15. Mai 2024 in Frankfurt am Main

Guten Tag! Ich freue mich sehr, dass wir heute hier in Frankfurt gemeinsam für das internationale Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung demonstrieren, international!

Bald feiern wir 75 Jahre Grundgesetz. Es ist geprägt von den Lehren aus Krieg und Faschismus. Der Geist von „Kriegsertüchtigung“ sollte besiegt und die Menschen zur Demokratie und zum Frieden befähigt werden, nicht zum Marschieren und Schießen, die Kriegsgewinnler sollten entmachtet werden, nicht die Kriegsgegner:innen schikaniert.

Im Grundgesetz steht: „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen. Und außerdem: (…) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der
Allgemeinheit dienen. (…) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. (...)“

Für den Frieden brauchen wir nicht neue Waffen, sondern die Verbrüderung und Verschwesterung von allen Menschen, die soziale Gerechtigkeit und Frieden wollen! Ich habe das selbst erlebt. Ich bin 1994 vor 30 Jahren mit 22 aus der russischen Partnerstadt von Münster – Rjasan – zum Studium nach Münster gekommen. Das war dank der Friedenspolitik von
Michail Gorbatschow möglich. Er hat die Truppen aus Afghanistan 1989 nach dem 9-jährigen Krieg abgezogen und den Krieg damit beendet. Und für die Zeit des Studiums wurde ich vom Militärdienst befreit, bis zum Alter von 27 Jahren. Ich habe mich nicht beeilt, das Studium davor abzuschließen, habe mich in der Hochschulpolitik engagiert, u.a. für die Zivilklausel – Studium, Lehre und Forschung sollen friedlichen Zwecken dienen.

In der Sowjetunion wurde ich bereits als Schüler auf den Militärdienst und auf den Krieg in der Kaserne und in der Schule vorbereitet, habe gelernt zu schießen. Ich habe mich über das Ende von heißen und kalten Kriegen deswegen sehr gefreut. Wir haben die Völkerverständigung gelebt, in Rjasan und in Münster. 1993 habe ich die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Universitäten Rjasan und Münster initiiert und 1994 angefangen, am Institut für Politikwissenschaft der Uni Münster in dem Projekt zu arbeiten. Jetzt liegt die städtepartnerschaftliche und wissenschaftliche Zusammenarbeit mit Russland auf Eis, auch zwischen Münster und Rjasan. Wie soll dieser Abbruch von zivilgesellschaftlichem
Austausch uns dem Frieden näherbringen?

Die Politik muss endlich der Friedenslogik und nicht der Kriegslogik folgen!

Ich engagiere mich in der Friedensbewegung in Münster seit dem völkerrechts- und grundgesetzwidrigen Krieg der Bundesrepublik Deutschland gegen die Bundesrepublik Jugoslawien 1999, im März waren das 25 Jahre, dem bereits vergessenen Krieg nach dem Ende des 2. Weltkriegs in Europa, mit uranabgereicherter Munition, die nachhaltig tötet. Jetzt
wird in der Ukraine die uranabgereicherte Munition aus den USA eingesetzt.

Ich war Zeuge, wie eine aus Serbien nach Münster geflüchtete Frau auf die Frage der Ausländerbehörde, warum sie nach Deutschland gekommen sei, geantwortet hat: „Ich bin vor deutschen Bomben geflohen.“ Daraufhin wurde die Befragung abgebrochen. Die Wahrheit hört man nicht gerne. Wir müssen die Kriegsursachen bekämpfen und nicht die Geflüchteten!

  • Jeder Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit!
  • Im Krieg gibt es keine Gewinner:innen, außer dem militärisch-industriellen Komplex.
  • Menschenrechte für Alle! – Das internationale Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung muss vor allem im Krieg eingehalten werden!
  • Die ukrainischen Studierenden an den Hochschulen in Deutschland sollen aus der Ukraine ungehindert ausreisen dürfen!
  • Wir fordern Schutz und Asyl für alle Deserteurinnen und Deserteure, Kriegsdienstgegnerinnen und Kriegsdienstgegner, Kriegsdienstentzieherinnen und Kriegsdienstentzieher, Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner!
  • Der Krieg muss als Krieg bezeichnet werden dürfen!
  • Und: Hoch die internationale Solidarität!

Die Waffenlobbyistin Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, FDP, hat im Interview dem YouTube-Kanal “Jung & Naiv” gesagt, sie würde ihren eigenen Sohn nicht in den Krieg schicken. Die Ukraine soll aber bis zum letzten Mann kämpfen? Für Deutschland? Mit deutschen Waffen? Vom deutschen Boden soll nie wieder Krieg ausgehen! Aber wo bleibt die notleidende Wirtschaft und die Ressourcen am Hindukusch, Struck, Strack-Zimmermann?

Ein ukrainischer Freund hat mir erzählt, er habe Putin verstanden und sei 3 Tage vor dem 24. Februar 2022 mit seiner Ehefrau und 2 kleinen Kindern nach Deutschland geflüchtet. Danach war sein Haus zerstört. Jetzt sagt er, er habe „Pistolerius“ verstanden, den deutschen Verteidigungsminister, demnächst Kriegsminister? Oder ist Deutschland nicht längst Kriegspartei? Nach dem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages vom 16. März 2022 heißt es, wenn Deutschland die ukrainischen Soldaten auf dem deutschen Boden an schweren Waffen ausbildet, spätestens dann ist Deutschland Kriegspartei. Letztes Jahr hat Deutschland damit angefangen. Nachdem Pistorius gesagt hat, Deutschland müsse kriegstüchtig werden, hat der ukrainische Freund von mir ihn verstanden und sucht jetzt für sich und seine Familie ein anderes, ein sichereres Land.

Kurz nach dem 24. Februar 2022 hat die ARD-Tagesschau einen Ukrainer interviewt, der in seiner Muttersprache gesagt hat, die ich verstehe: „Die da oben sollen sich einigen! Unsere Kinder sterben!“. Das wurde in dieser Tagesschau nicht ins Deutsche übersetzt. Dabei ist die Botschaft so wichtig:

Frieden schaffen ohne Waffen rettet Leben!

Es sterben aber jetzt jeden Tag Tausende Menschen im Krieg, weltweit! Und dieser Stellvertreterkrieg in der Ukraine wird zynisch „Abnutzungskrieg“ genannt. Es wird ein Sieg der Ukraine gegen Russland gefordert, Sieg für Deutschland, Sieg für die Freiheit. Wie stellt man sich diese Freiheit überhaupt vor und wessen Freiheit soll das sein? Was nützt diese Freiheit den Toten und den Überlebenden? Heißt es nicht aus der deutschen Geschichte lernen: “Lieber rot als tot!”?

Kann eine Atommacht besiegt werden? Bringen noch mehr Atomwaffen eine Abschreckung oder Schrecken ohne Ende? Die Atomwaffen müssen vernichtet werden, bevor die Menschheit vernichtet wird! Hiroshima und Nagasaki mahnen. Unser schöner Planet Erde wird durch Kriege zerstört. Warum sollen wir wegen der Grenzen, für die nationalistischen
Wirtschaftsinteressen der Oligarchen sterben? Wie schön wäre die Erde ohne Grenzen, so wie der erste Mensch im All – auf Russisch und auf Griechisch „Kosmos“ genannt – Jurij Gagarin sie gesehen hat! Blau, grün, einfach schön.

Dieser Krieg muss so schnell wie möglich enden. Deswegen ist es notwendig, die Politik von immer tödlicheren Waffenlieferungen zu beenden. Die diplomatische Initiative muss her.

Bedürfnisse von Menschen, die Rettung des Klimas, humanitäre Hilfe tun not und nicht die Geopolitik. „Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin“, hat Bertolt Brecht gesagt. Deswegen bin ich gerne Pazifist und kein „gefallener Engel“, wie Kanzler Scholz behauptet hat.

Hiermit schließen wir unseren Friedensvertrag!
<Jewgenij Arefiev reicht dem ukrainischen Kriegsdienstentzieher Andrii Konovalov, die Hand: Händedruck>
Frieden heißt „mir“ auf Russisch und Ukrainisch, was auch Welt bedeutet.
Frieden der Welt!

Kriegsverrat ist Friedenstat!
<Jewgenij Arefiev und Andrii Konovalov zerbrechen gemeinsame die symbolischen Gewehre>

 

 

Letztes Update: 21.05.2024, 13:11 Uhr