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Rede von Dr. Gernot Lennert, Landesgeschäftsführer DFG-VK Hessen beim Mainz-Wiesbadener Ostermarsch in Wiesbaden 2014 Vor 100 Jahren begann der Erste Weltkrieg, der bis dahin größte Massenmord der Geschichte. Mit dem Konflikt um die Ukraine ist schlagartig die Kriegsgefahr nach Europa zurückgekehrt. Wir müssen uns fragen: Könnten ähnlich wie 1914 bestehende Konflikte so eskalieren, dass sie zu einem größeren Krieg oder gar zu einem Weltkrieg führen?
Tragödie oder Verbrechen?
Mehr als bei anderen Kriegen wird beim Ersten Weltkrieg die Frage nach seinen Ursachen und nach der Schuld gestellt. In der gegenwärtigen Debatte dominiert wieder die alte These, niemand sei wirklich schuldig gewesen, man sei in den Krieg hineingeschlittert. Ein Beispiel ist das gefeierte Buch Sleepwalkers, deutsch Schlafwandler, von Christopher Clark. Er schrieb: „In dieser Geschichte gibt es keine Tatwaffe als unwiderlegbaren Beweis, oder genauer: Es gibt sie in der Hand jedes einzelnen wichtigen Akteurs. So gesehen war der Kriegsausbruch eine Tragödie, kein Verbrechen.“ Welche eine Logik. Wenn alle Regierungen schuldig sind, ist es kein Verbrechen, sondern eine Tragödie. Hier wird das Verbrechen des Krieges verharmlost. Mit dem Wort „Kriegsausbruch“ wird suggeriert, Krieg sei eine Art Naturkatastrophe.
Wer die Kriege von damals verharmlost, verharmlost auch die Kriege von heute.
Kriege werden jedoch von Menschen bewusst begonnen, was Clark sehr genau schildert. Und er schreibt zutreffend: „Kein einziges der Anliegen, für die die Politiker von 1914 stritten, war die darauffolgende Katastrophe wert.“Also haben die damaligen Machthaber aus nichtigen Gründen den bis dahin größten Massenmord der Geschichte organisiert. Wenn das kein Verbrechen ist, was dann?
Allein schon die damaligen Protagonisten als „Schlafwandler“ zu bezeichnen, „unfähig, die Realität der Gräuel zu erkennen, die sie in Kürze in die Welt setzen sollten.“ ist beschönigend.
Die Entscheidungsträger wussten sehr genau, welche Gräuel sie verursachten.
Besteht heute eine ähnliche Konstellation wie 1914?
Damals prägten acht Großmächte die Weltpolitik. Auch heute bewegt sich die Welt wieder in Richtung Multipolarität. Mächte wie Russland und China wollen die bisherige westliche Dominanz nicht mehr hinnehmen.
Die Welt vor 1914 war nicht nur eine Welt von Kriegsverherrlichung, Nationalismus, Imperialismus und Aufrüstung. Vor 1914 wähnten sich viele, wie es Stefan Zweig in seinem Buch Die Welt von gestern schildert, in einer Welt der Sicherheit, der Vernunft und des Fortschritts. Technische Entwicklungen, wachsender Wohlstand, Mobilität durch Züge und Autos, beginnende Überwindung der repressiven Sexualmoral und Geschlechterrollen, Aufbruch in Kunst und Kultur sorgten für Optimismus. Kriege gab es auf dem Balkan und in den Kolonien. Doch Krieg zwischen vermeintlich zivilisierten Staaten erschien anachronistisch. Man nahm die Krisen wahr, tröstete sich damit, dass sie, wie Stefan Zweig schrieb, „immer in letzter Stunde, bevor es ernst wurde, glücklich beigelegt wurden.“
Heute gibt es Friedenszonen ohne zwischenstaatliche Kriege: West- und Mitteleuropa, Amerika und Ozeanien. In Südost- und Ostasien ist es nach dem Vietnamkrieg gelungen, trotz aller Konflikte mit Dialog und Diplomatie Krieg zu vermeiden. Kriege finden heute meist in Afrika und Südwestasien statt, mit mehr oder weniger Intervention von außen. Die Globalisierung hat ein nie dagewesenes Niveau erreicht. Millionen von Menschen sind über das Internet miteinander verbunden. Kriege unter Industrie- und Schwellenländern erscheinen heute absurd und anachronistisch.
Doch es wurde schlagartig deutlich, dass Russland, die EU und die USA sich einen geopolitischen und imperialistischen Konkurrenzkampf um die Ukraine liefern, der an längst überwunden geglaubte Politikmuster erinnert. In Russland und der Ukraine blühen nationalistische Verhetzung und offener Faschismus. Es wird gedroht, provoziert, aufmarschiert, besetzt und gehetzt, es fielen auch schon Schüsse mit Dutzenden von Toten. Und man hofft, dass die Gegenseite sich das gefallen lässt, ohne dass es zu einer kriegerischen Eskalation führt. 1914 hat das nicht funktioniert.
Auch in Ostasien wächst die Kriegsgefahr. Japan ist dabei, seine pazifistische Verfassung zugunsten von Aufrüstung aufzugeben. China und Japan steigern sich beide in konfrontativen nationalistischen Hass gegeneinander hinein. In einen chinesisch-japanischen Krieg würden auch die USA involviert.
Doch es gibt auch beträchtliche Unterschiede zwischen damals und heute: Heute gibt es konfliktmildernde internationale Organisationen wie UN und OSZE, als Verwirklichung alter pazifistischer Forderungen. Das internationale Recht hat sich erheblich weiterentwickelt. Angriffskrieg ist mittlerweile verboten. Heute wäre ein Weltkrieg mit Atomwaffen der Untergang aller Beteiligten. Selbst der Erste Weltkrieg war keineswegs unausweichlich. Die Krise von 1914 hätte beigelegt werden können, wie viele vor ihr. Das lässt hoffen, dass heute ein Weltkrieg besser vermieden werden kann als damals.
Wir dürfen uns dabei keineswegs auf die Weisheit der Regierenden verlassen. Überall auf der Welt müssen sich Menschen dem Krieg verweigern und gegen Krieg und Kriegstreiberei, Nationalismus und Imperialismus Widerstand leisten. Ein Historiker und Antimilitarist aus Moskau forderte angesichts des Konflikts um die Ukraine sehr zutreffend: „Wir dürfen den Herrschenden kein neues 1914 erlauben!“
Zum Schluss noch zwei Hinweise zur Kriegsverherrlichung hier im Raum Wiesbaden/Mainz:
In Mainz hängt OB Ebling alljährlich einen Kranz an das Marineehrenmal. Es verherrlicht nicht nur den Tod auf dem im Ersten Weltkrieg untergegangenen „heldenhaften Kreuzer Mainz“. Es hetzt auch zu neuen Kriegen, und wurde von den Nazis 1939 auch genau dafür errichtet. In der auch ansonsten fürchterlichen Inschrift heißt es: „Den Gefallenen zum Gedächtnis – Künftigen Geschlechtern zur Nacheiferung.“ Die DFG-VK Mainz hat OB Ebling in einem Brief gefragt, warum er unter einen solchen kriegshetzerischen Text einen Kranz hängt. Wir warten auf Antwort.
Der Landtag von Rheinland-Pfalz lässt am 24. Juni in Mainz die Bundeswehr zum Gelöbnis aufmarschieren. Das Gelöbnis soll laut Landtagspräsident Mertes die "enge Verbundenheit von Parlament und Bundeswehr zum Ausdruck" bringen, vor allem bezüglich der Auslandseinsätze. Es ist kein Routinegelöbnis wie ein Gelöbnis auf einem Kasernenhof. Direkt vor dem Landtag ist es als öffentlichkeitswirksame politische Demonstration mit überregionaler Wirkung gedacht, als politische Demonstration für die Auslandseinsätze der Bundeswehr und für eine noch stärkere militarisierte Außenpolitik.Ein öffentliches Militärgelöbnis im Gedenkjahr an den Beginn des 1. Weltkriegs ist besonders geschmacklos. Damit werden viele Millionen Kriegsopfer des Ersten Weltkriegs und der von ihm verursachten nachfolgenden Kriege verhöhnt.
Wir werden am 24. Juni gegen diese gegen diese Zurschaustellung militärischer Macht demonstrieren und rufen zur Beteiligung auf. Ein Vorbereitungstreffen wird am 28. April stattfinden. Ort und Uhrzeit im Friedlicht, das hier verteilt wird. <Mainz, Bürogemeinschaft, Walpodenstr. 10, 19 h> Die jeweils aktuellsten Informationen findet Ihr auf der Homepage der DFG-VK Mainz: www.dfg-vk-mainz.deNein zu öffentlichen Gelöbnissen der Bundeswehr in Mainz und anderswo!