Aktuell > Frieden im Fokus > Friedenspolitik nach der Trump-Wahl
von Thomas Carl Schwoerer, Bundessprecher der DFG-VK,
Totensonntag, 24.11.24, 15 h, Neu-Isenburg
Meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,
ich versuche, friedenspolitische Lösungswege für Probleme der Gegenwart vorzustellen. Donald Trumps Wahl zum US-Präsidenten wird hierzulande begleitet von frenetischen Forderungen nach Aufrüstung. Europa müsse noch mehr aufrüsten, um von den USA unabhängig zu werden.
Wir fordern stattdessen die Einführung einer sozialen Verteidigung. Sie wäre deutlich effektiver und kostengünstiger als das Aufrüstungsprogramm der Bundesregierung. Wir sollten nicht den weltweit drittgrößten Rüstungsetat haben wollen, auf den dieses Programm schon bisher hinausläuft, was das eigene Machtinteresse der Bundesregierung widerspiegelt.
Zumal eine neue Greenpeace-Studie zeigt, dass die NATO selbst ohne die USA mehr für Rüstung ausgibt als Russland. Die NATO ist in Schlüsselbereichen wie Kampfflugzeugen und Panzern deutlich überlegen und hat über drei Millionen aktive Soldat:innen, Russland „nur“ 1,33 Millionen.
Die Bundesregierung begründet die Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen ab 2026 mit einer „Fähigkeitslücke“ des Westens. Das überzeugt deshalb nicht, weil die Luft- und Seestreitkräfte der NATO den russischen Kurz- und Mittelstreckenwaffen weit überlegen sind. Vielmehr kann ein Angriff mit den geplanten landgestützten US-Waffen unbemerkt vorbereitet, überraschend (mit stark verkürzter Vorwarnzeit) und präzise durchgeführt und kaum abgefangen werden. Wir in Deutschland sind durch die Stationierung alleiniges Ziel eines potenziellen Gegenschlags. Sie wäre ein Sargnagel für die Rüstungskontrolle und Vereinbarungen wie den New START-Vertrag. Daher ist sie eine Bedrohung für den Frieden in West- und Mitteleuropa und muss gestoppt werden! Nötig sind Initiativen zur Abrüstung aller Mittelstreckenwaffen in Europa – das schließt die russischen Waffen ein. Wir wollen weder russische noch US-Raketen in Europa! Wir werden die Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen nur verhindern, wenn wir explizit sagen, dass wir auch russische ablehnen. Denn für unsere Adressaten ist die Bedrohung durch diese präsent durch die täglichen Einschläge in der Ukraine und die Erreichbarkeit von Berlin durch die Iskander. Geplant ist eine größere Kundgebung im Frühjahr in Wiesbaden, der künftigen Kommandozentrale dieser Waffen.
Die Rüstungsüberlegenheit der Nato und die fortgesetzten Aufrüstungsschritte schaffen laut Greenpeace-Studie keine echte Sicherheit. Vielmehr sei ein grundlegendes Umdenken in der Sicherheitsstrategie erforderlich. Da kommt das Szenario Europas Rolle für den Frieden in der Welt wie gerufen, das Sicherheit neu denken nächsten Monat vorlegt als positive Alternative, ohne Aufrüstung. Es zeigt auf, wie wir in Europa eine nachhaltige Friedensordnung schaffen, die im Sinne gemeinsamer Sicherheit unterschiedliche Sicherheitsinteressen berücksichtigt. Und es thematisiert, was die EU zur Überwindung des imperialen Dominanzstrebens von Russland, China und den USA beitragen kann. Europa sollte gemeinsam mit dem Globalen Süden diese drei Akteure zur Abkehr von ihrer gewaltvollen Politik bewegen – und gewaltfreie politische Lösungen sowie militärische Abrüstung zwischen ihnen vermitteln. Eine zentrale Rolle nähme das Angebot einer UN-gesicherten Neutralitätszone für die Staaten zwischen Russland und der NATO ein.
Für die Länder des Globalen Südens ist außerdem die Kritik an doppelten Standards des Westens wichtig, die Solidarität gegen westliche Bevormundung, eine Neuordnung der globalen Institutionen und das Bestehen darauf, entsprechend den eigenen Interessen zu handeln und nicht gemäß westlichen Leitlinien. Die meisten Länder des Globalen Südens haben sich den westlichen Sanktionen gegen Russland nicht angeschlossen, weil sie das Verhalten des Westens – auch im Ukraine-Krieg – als Versuch der Beibehaltung westlicher Dominanz werten.
Das mächtigste Land des Globalen Südens ist für uns von besonderer Bedeutung: China. Das sollte uns nicht davon abhalten, die chinesische Zivilgesellschaft zu unterstützen bei Menschenrechtsverletzungen und Unterdrückung in Hongkong, Xinjiang und anderswo, und bei der Verteidigung der Freiheit in Taiwan.
Die Beziehungen zwischen den beiden Supermächten USA und China haben sich stark verschlechtert, so dass dieses Verhältnis das gefährlichste in diesem Jahrzehnt ist. Es drohen ein kalter oder heißer Krieg, zumal Trump China-Falken für alle maßgeblichen Posten ernannt hat. Er könnte die Europäer dazu zwingen – und Teile der EU einschließlich Ursula von der Leyen wären empfänglich für einen solchen Deal -, wie die USA eine 60-Prozent-Steuer auf chinesische Produkte zu erheben oder die Wirtschaftsbeziehung zu China zu drosseln. Dafür würden die USA weiter Europa gegen Russland unterstützen, statt die US-Militärhilfe für die Ukraine zu beenden. Wenn die EU nicht zustimmt, wird Trump Europa bestrafen, indem er hohe Zölle auf europäische Produkte erhebt.
Einen alternativen, konstruktiven Lösungsweg für den Umgang mit China zeigt der ehemalige australische Regierungschef und Außenminister und jetzige Botschafter in den USA Kevin Rudd in seinem vorletztes Jahr auf Deutsch erschienenen Buch „Der vermeidbare Krieg“. Als ersten Schritt sollten China und der Westen an ihrer gegenseitigen Wahrnehmung arbeiten, welche roten Linien der anderen Seite sie nicht überschreiten dürfen. Es geht darum, die Rivalität so zu kanalisieren, dass ein Krieg vermieden wird. Nötig dafür ist ein gemeinsames Rahmenwerk mit Leitplanken für einen kontrollierten strategischen Wettbewerb, innerhalb dessen beide Seiten ihre Kerninteressen verfolgen. Das Rahmenwerk bestünde u.a. aus einer Vereinbarung über den Umgang mit den jeweiligen strategischen roten Linien (beispielsweise über Taiwan).
Der gesamte Westen würde zurückkehren zur strikten Einhaltung der Ein-China-Politik und insbesondere auf provokante und unnötige hochrangige Besuche in Taiwan verzichten (im Falle Deutschlands etwa des Besuchs der FDP-Bundestagsabgeordneten um Frau Strack-Zimmermann im Januar 2023). Dies würde den Verzicht auf eine direkte militärische Zusammenarbeit mit Taiwan einschließen. Das wichtigste Ziel wäre, den strategischen Status Quo über Taiwan zu bewahren, der seit fünfzig Jahren Bestand hat.
China würde seinerseits seine provokanten militärischen Übungen, Überflüge und Manöver in der Taiwanstraße zurückfahren. Im Südchinesischen Meer würde China darauf verzichten, weitere Inseln zu beanspruchen oder zu militarisieren und seine territorialen Forderungen gegen die Philippinen als einzigen dortigen US-Alliierten militärisch durchzusetzen. Es würde sich verpflichten, die volle Freiheit der Schifffahrt und Überflüge zu respektieren. Daraufhin würde der Westen seine Operationen in diesem Gebiet verringern. Deutschland würde nicht mehr an Manövern wie im vorletzten Herbst teilnehmen. Das Ziel wäre eine klare Vorstellung, was die roten Linien der jeweils anderen Seite sind und die Klarheit, dass bei einem Überschreiten dieser roten Linien massive Gegenmaßnahmen ergriffen würden.
Deutschland und Europa sollten sich nicht an einer Strategie der Eindämmung, sondern der Einbindung Chinas und des gegenseitigen Respekts beteiligen, was offene Kritik und Druck nicht ausschließt. Sie sollten sich als friedenspolitisch orientierte Mächte positionieren und eine Vermittlerrolle zwischen Washington und Beijing wahrnehmen. Es ist leichtfertig, wie Chinas mögliche Rolle abgetan wird beim Weg zu Friedensverhandlungen in der Ukraine. Neben Indien, Indonesien und Brasilien könnte es auf Russland einwirken und später Polizist:innen oder Blauhelmsoldat:innen stellen zur Absicherung eines Friedensplans einschließlich Referenden unter UN-Aufsicht im Donbass und auf der Krim. Russische Soldaten würden nicht auf chinesische schießen.
Diplomatische Initiativen zur Beendigung des Krieges in der Ukraine kommen vor allem von den Ländern des Globalen Südens. So mit dem Friedensplan von Brasilien und China, der bemerkenswerterweise von der Schweiz unterstützt wird. Die Bundesregierung hingegen investiert kaum Energie in das Zustandekommen solcher Verhandlungen, sondern führt die allermeisten Gespräche mit dem – bislang vergeblichen – Ziel, Druck auf Russland aufzubauen.
Hunderttausende sind schon in diesem Krieg gestorben. Es dürfen ihm nicht weitere Abertausende zum Opfer fallen! Nötig sind massive internationale diplomatische Kraftanstrengungen auch der Bundesregierung, natürlich in Absprache mit der Ukraine, zu einem Waffenstillstand und anschließenden Verhandlungen für einen nachhaltigen Frieden. Nur so findet das unermessliche Leid der Menschen in der Ukraine ein Ende.
Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit. Entsprechend hat die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen 2022 sofort den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine verurteilt und fordert seitdem den Rückzug der russischen Truppen aus der Ukraine.
Die ukrainische Gegenoffensive ist gescheitert und zum Stillstand gekommen. Weder Russland noch die Ukraine haben eine realistische Chance, diesen Krieg zu gewinnen, in dem es nur Verlierer geben kann. Die Lösung auf dem Schlachtfeld zu suchen, ist keine verantwortungsvolle Alternative. Zudem erhöht sich laut Jürgen Habermas mit jedem Tag, an dem Verhandlungen nicht eingeleitet werden, die Gefahr eines Kapitulationsfriedens der Ukraine, oder – um diesen abzuwenden – einer noch stärkeren, direkten Kriegsbeteiligung der Nato. Es ist zu befürchten, dass diese sich zu einem dritten Weltkrieg ausweiten würde, der wahrscheinlich ein atomarer wäre.
Wichtig sind nicht-militärische Beiträge zur Schwächung der zermalmenden Gewalt dieses Krieges, um wieder mit Habermas zu sprechen. Das sind humanitäre Visa und Asyl für alle Kriegsdienstverweigerer, Militärdienstentzieher und Deserteure aus den beteiligten Ländern – hier setzt Europa seine Versprechen nicht um -, sowie ziviler Widerstand.
In Sachen Nahost-Krieg haben sich die Länder des Globalen Südens ein zweites Mal nicht dem Westen angeschlossen – nach der Ukraine. Man hat das Gefühl, dass dem Westen die Leben der Palästinenser und Libanesen weniger wichtig seien – und dass Menschenrechte und moralische Werte offenbar nicht für alle gelten. Deutschlands Parteinahme für Israel hat viel Distanz zu diesen Ländern geschaffen und eine Vermittlerrolle unseres Landes deutlich erschwert.
Das menschenverachtende, verbrecherische Massaker und die Geiselnahme der Hamas in Israel waren furchtbar und durch nichts zu rechtfertigen. Seit der Shoah wurden noch nie so viele Jüdinnen und Juden an einem Tag ermordet. Alle Opfer der Gewalt in Israel sollten unser tiefes Mitgefühl haben.
Das gilt ebenso für die unzähligen Opfer der Gewalt und der humanitären Katastrophe im Gaza-Streifen. Dort wurde die bislang größte Anzahl von Kindern und UN-Mitarbeitern in einem bewaffneten Konflikt dieser Länge getötet. Hilft es Israel, wenn Tausende von Kindern getötet werden?
Gaza ist zu einem der gefährlichsten Orte der Welt geworden laut Palästinenserhilfswerk der Vereinten Nationen. So ist Gaza eine Brutstätte des Terrorismus. Eine ganze Generation läuft dort Gefahr, sich aufgrund dieses Krieges zu radikalisieren.
Human Rights Watch fordert einen Stopp der militärischen Unterstützung und Waffenlieferungen an Israel, an die Hamas und den Islamischen Dschihad wegen des großen Risikos, dass diese Waffen für Kriegsverbrechen gegen Zivilisten verwendet werden. Es fordert namentlich die USA, Großbritannien, Kanada und Deutschland zum Stopp der militärischen Unterstützung Israels auf, und den Iran zum Stopp der Bewaffnung der Hamas und des Islamischen Dschihad.
Der Internationale Staatsgerichtshof hat Haftbefehle gegen Bibi Netanjahu und Joav Gallant ausgestellt wegen des Verdachts, das Kriegsverbrechen des Aushungerns als Mittel der Kriegsführung begangen zu haben. Alle Staaten, die die UN-Völkermordkonvention unterzeichnet haben, sind verpflichtet, schon beim Verdacht auf einen möglichen Genozid einzugreifen. Der Internationale Staatsgerichtshof hat schon früher diesen Verdacht geäußert. Für die deutsche Regierung, sagt Janina Dill, Co-Direktorin des Oxford-Instituts für Ethik, Recht und bewaffnete Konflikte, muss daraus »ein Stopp der Waffenlieferungen und massiver diplomatischer Druck auf Israel« folgen.
Analog gilt für den Sudan, dass Deutschland keine Waffen liefern darf an die Staaten, die ihrerseits die Kriegsparteien beliefern: die Vereinigten Emirate, Ägypten, Katar und Saudi-Arabien u.a.
Die Gewaltverbrechen der Hamas lassen sich nur durch eine gemeinsame regionale Bekämpfung verbrecherischer Gewalt unter Beteiligung der arabischen Staaten überwinden. Das hat auch der ehemalige israelische Geheimdienstchef Yuval Diskin als einzigen Weg raus aus dem Konflikt bezeichnet.
Ein wirkungsvolles Engagement der arabischen Staaten für die Sicherheit Israels und eine Überwindung der verbrecherischen Gewalt der Hamas ist nur möglich in Verbindung mit einer glaubwürdigen Perspektive für die Selbstbestimmung der Palästinenser:innen, konkret die Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen und einen eigenen Staat. Das würde Israel Sicherheit geben und dem Terror den Nährboden entziehen.
Deutschland sollte daher seine Kraft für den sofortigen und nachhaltigen Stopp der Gewalt auf beiden Seiten und die Gründung einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittleren und Nahen Osten einsetzen.
Die Situation in beiden Kriegen scheint ausweglos zu sein, aber wir wären schlecht beraten, die Hoffnung aufzugeben und uns nicht für Lösungen einzusetzen. Es hilft, in längeren Zeiträumen zu denken: Die Entspannungspolitik mit ihrer Aussöhnung Deutschlands mit Russland wurde erst nach vielen Jahrzehnten durchgesetzt, gegen den Widerstand der CDU/CSU. Und der Palästinenser Bassam Aramin hat im Spiegel-Gespräch mit einem befreundeten Israeli diese bemerkenswerten Sätze gesagt: "Die Israelis haben nicht sechs Millionen Palästinenser getötet, und die Palästinenser haben, anders als die Deutschen, nicht sechs Millionen Juden ermordet. Und trotzdem sind Israel und Deutschland heute befreundete Nationen, es gibt einen deutschen Botschafter in Tel Aviv und einen israelischen Botschafter in Berlin. Wir Israelis und Palästinenser können es also auch schaffen. Alles, was wir dazu brauchen, sind mutige Anführer, die uns entschlossen vom Grauen und vom Schmerz der Vergangenheit wegführen."
Um Kriege zu beenden, sollte man versuchen, Frieden zu schließen - auch mit Menschen, die die eigenen Leute bestialisch umgebracht haben. Wer Frieden nur mit Freunden schließen will, wird nie welchen bekommen. Verhandlungen für Waffenstillstände und politische Lösungen nach den erfolgreichen Vorbildern Kolumbiens und Nordirlands sind alternativlos. Yitzhak Rabin sagte in seiner Rede zur Annahme des Friedensnobelpreises 1994, dass es nur eine radikale Methode gäbe, um Menschenleben zu schützen und Sicherheit zu bekommen. Diese radikale Methode sei nicht Rüstung, sondern Frieden. Den Frieden muss man wollen und sich dafür einsetzen.
Zivile Konfliktprävention, also bevor das jeweilige Kind in den Brunnen fällt, muss zur Leitlinie unserer Außenpolitik werden.
Präsident Putin hat 2021 und 2022 vor dem Angriff auf die Ukraine gefordert, über die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine zu verhandeln. Das hat das westliche Staatenbündnis in seiner militärischen Blocklogik rundweg abgelehnt. Wie wäre die Reaktion der USA, wenn in ähnlicher Weise Mexiko, angrenzend an den USA in ein Militärbündnis mit Russland oder China eintreten wollte?
Auch der Nahostkrieg hätte verhindert werden können. Die israelische Armee war mehr als ein Jahr zuvor in den Besitz des Masterplans der Hamas für den Angriff gelangt. Die Hamas wollte den Krieg, und Israel hat es nicht gesehen, wegen des Hochmuts der Armeeführung und der Nachrichtendienste: Sie vertrauten auf die militärische Überlegenheit und den Einsatz von Hightech und unterschätzten somit die Möglichkeiten der Hamas. Außerdem hat Israels Regierung 70% aller Soldaten zum Schutz der Siedler im Westjordanland abgestellt und wollte sich nicht mit Gaza und der Frage eines Palästinenserstaates abgeben.
Die derzeitigen Kriege sind der beste Beleg dafür, dass der militärische Weg furchtbar ist. Es gilt, die Anwendung militärischer Gewalt zu vermeiden, denn diese hat in den letzten Jahrzehnten nicht einmal eine politische Lösung herbeigeführt. Vielen Dank für eure Langmut.