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Rede von Thomas Carl Schwoerer, Bundessprecher der DFG-VK, am Ende der Abschlusskundgebung
Die Rede wurde bei der Demonstration wurde mit Rücksicht auf andere Redner:innen gekürzt vorgetragen
Liebe Freundinnen und Freunde,
in kürzester Zeit, seit gut zwei Wochen erleben wir eine Achterbahn der Gefühle. Die erste Erschütterung kam am 24. Februar mit Russlands Einmarsch in die Ukraine. Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit.
Entsprechend haben wir sofort diesen Angriffskrieg und Präsident Putins Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen verurteilt. Wir verurteilen seinen Einsatz von Streumunition sowie den Beschuss eines ukrainischen Atomkraftwerks und mehrerer Städte. Wir fordern einen sofortigen Waffenstillstand und den Rückzug der russischen Truppen aus der Ukraine.
Zwei Tage später waren wir zunächst hocherfreut über die Frankfurter Kundgebung der 7000 gegen diesen Krieg. Der Wermutstropfen bestand darin, dass vor allem Ukrainer den stellvertretenden DGB-Vorsitzenden ausgebuht haben, als er sich für Sanktionen, aber gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und für Deeskalation aussprach. Der ukrainische Generalkonsul entriss ihm auf unfreundliche Art das Mikro.
Tags darauf, zeitgleich zur beeindruckenden und ermutigenden Berliner Kundgebung der Hunderttausenden, kam die zweite Erschütterung, die allerdings nicht mit der ersten zu vergleichen war: Kanzler Scholz hat eine massive Aufrüstung angekündigt. Sie nützt der Ukraine nichts. Und selbst im Rahmen einer militärischen Abschreckungslogik sind die 100 Milliarden Euro auch nicht annähernd nachvollziehbar. Eine weitere Aufrüstung der osteuropäischen Nato-Staaten beispielsweise kostet nie und nimmer eine solche Summe. Bereits in den letzten zehn Jahren ist der Militär-Etat von knapp 32 Milliarden auf gut 50 Milliarden Euro gewachsen – ein Plus von 58 Prozent. Schon diese bisherige Hochrüstung sorgte nicht für Sicherheit: Der Etat aller NATO-Staaten zusammen ist schon heute 16-mal höher als der Russlands. Das hat aber die massiven konventionellen und atomaren Streitkräfte Russlands nicht weniger gefährlich gemacht.
Diese 100 Milliarden sind nicht Sicherheit neu denken, sondern altes Denken, um mit Gorbatschow zu sprechen. Militärische Scheinlösungen haben in Afghanistan, Mali und gegen den Terror versagt.Die 100 Milliarden wären viel besser in den Klimaschutz, die weltweite Pandemiebekämpfung und viele andere Herausforderungen wie Bildung für die junge Generation investiert, statt sie für volkswirtschaftlich unproduktive Ausgaben zu verschwenden.
Was die Waffenlieferungen an die Ukraine anbetrifft, sind sie zwar als solidarische Tat gemeint, die Zeit kauft, damit die Sanktionen gegen Russland greifen. Die Kehrseite dieser Medaille ist, dass der Krieg mit zunehmender Dauer immer brutaler wird. Zudem gelangen Rüstexporte erfahrungsgemäß in die falschen Hände. Außerdem sind die Lieferungen an die Ukraine ein Präzedenzfall für zukünftige Rüstungsexporte in Kriegs- und Krisenregionen – und das in einem Jahr, in dem die Ampel ein restriktives Rüstungsexportkontrollgesetz vorlegen will.
Es gibt eine große Hilflosigkeit und Angst in der Gesellschaft, auch unter Kindern und in Pflegeheimen. Dagegen hilft Orientierung: Stimmt es, dass die Diplomatie ihre Grenzen erreicht hat?
Nein, die Möglichkeiten der Diplomatie, so engagiert sie betrieben wurde, wurden nicht ausgereizt. Der Westen hat Putins Kernforderungen nach Sicherheitsgarantien abgewiesen. Es wäre immer noch möglich, das zu revidieren, etwa zu sagen: Die Nato greift Präsident Selenskyjs Angebot der Neutralität der Ukraine auf und macht sie sich zu eigen, schließt also einen Nato-Beitritt aus.
Schon vorher hat der Westen Fehler gemacht, indem er seit 1990 Russland nicht als gleichberechtigten Partner in die europäische Friedensordnung einbezog. Und indem er 2008 der Ukraine und Georgien die Nato-Mitgliedschaft in Aussicht stellte, damit Präsident Putins ausdrückliche rote Linie überschritt und ihn demütigte.Das alles rechtfertigt nicht den brutalen russischen Einmarsch und dass sich Putin äußerst brutal zu nehmen versucht, was er vorher gefordert hat. Das Vertrauen zu Präsident Putin steht auf einem Tiefpunkt, seine Glaubwürdigkeit hat massiv gelitten. Gerade deshalb würden Abrüstungsverhandlungen eine Chance darstellen: Schon im Kalten Krieg gelang es, durch Abrüstungsverhandlungen in kleinen Schritten Vertrauen aufzubauen. Generell führt – leider – kein Weg vorbei an Verhandlungen mit Putin.
Es gibt mehrere Anlässe zur Hoffnung: 1,5 Millionen Menschen haben die Petition der russischen Antikriegsbewegung unterschrieben. Sie und die ukrainische Friedensbewegung gilt es zu unterstützen, auch Einzelpersonen wie den Chefredakteur der Nowaja Gaseta und die russische Kriegsdienstverweigerer-Organisation OVD, denen wir unsere Solidarität versichert haben. Ermutigend ist außerdem, dass die russische Regierung international nahezu vollständig geächtet ist.
Beeindruckend ist die Solidarität hierzulande mit Geflüchteten. Wir fordern auch Asyl für alle Menschen aus Russland, Belarus und der Ukraine, die den Kriegsdienst verweigern oder desertieren.
Ich komme zum Schluss. Hoffnung gibt, dass sich die junge Generation das Thema Krieg und Frieden zu eigen macht. Eine unerwartet hohe Anzahl junger Menschen sich für unsere Friedensmentor:innenausbildung angemeldet. Und vorletzten Donnerstag haben 170 Tausend an den Friedensdemos von Fridays for Future teilgenommen. Im Rahmen dessen haben Schüler:innen und Studierende geschrieben: "Wenn wie geplant jedes Jahr mehr als 2% in die Bundeswehr fließen, sind wir bald der drittgrößte Militärstaat, vor Russland. Wir wollen nicht in einer Welt voller Waffen leben, sondern in einer Zukunft ohne Krieg, Klimakrise, Armut und Hunger."
In diesem Sinne: Vielen Dank für eure Langmut und Teilnahme an dieser großartigen Demonstration.